Wandererlebnis Jurahöhenweg, 20. - 27. Juni 2009
Nach der Alpenpassroute in den Jahren 2007 /2008 wollten wir zur Abwechslung im Jahr 2009 eine etwas gemütlichere Wanderwoche absolvieren. Der Jurahöhenweg nach Genf schien sich dafür geradezu aufzu-drängen. Die „flachen“ Jurahöhen, die perfekte Routenausschilderung, das Wanderdatum Ende Juni, sowie die unzähligen Restaurants am Wanderweg würden eine Wanderung nach Genf bestimmt zu einem reinen Spaziergang machen. Eine Wunschvorstellung, die sich teilweise schon bei der Detailplanung, spätestens aber auf dem Marsch nach Genf in Luft auflöst.
Nun führt der Jurahöhenweg bekanntlich von Dielsdorf nach Borex, oder anders ausgedrückt von Zürich nach Genf über eine Strecke von gut 300 Kilometer Länge. Die offizielle Wanderroute schlägt dazu 16 Tagesetappen vor. Soviel Zeit hatten wir nicht und zudem haben einige von uns die Strecke Dielsdorf – Balsthal schon früher begangen. So konnten wir uns schnell einmal auf die präzis 222 Kilometer lange Wanderung von Balsthal nach Borex einigen. Nun war nur noch das Kunststück fertig zu bringen, die veranschlagten elf Wandertage in acht etwa gleich grosse Tagesetappen aufzuteilen. Wenn der gesamte Jurasüdfuss derart dicht mit Alpwirtschaften besiedelt wäre wie die Region Balsthal - Weissenstein, so könnte man ohne Planung einfach los marschieren. Westlich der Grenchenberge werden die Unterkünfte mit Uebernachtungsmöglichkeiten aber zunehmend rarer. Und so waren wir manchmal sogar froh, wenn
wir im Nachtlager überhaupt fliessendes Kaltwasser vorfanden.
Tagesroute Balsthal – Grenchenberge
So sind wir denn am Samstag Morgen, 20. Juni 2009 in Balsthal zu viert bei bestem Wetter auf unserem Jurahöhenweg gestartet. Die für die Jahreszeit ungewöhnlich tiefen Temperaturen kamen uns zumindest am Start noch sehr gelegen. Und so haben wir uns gut gelaunt an den Aufstieg auf die Schwängimatt gemacht. Oben angelangt, führte uns unsere Wanderung vorbei an den uns bestbekannten Punkten wie Hellchöpfli, Hinteregg und Bettlerküche. Der Seilpark Balmberg lud uns zu einer kurzen Mittagsrast ein, doch kurz darauf erwartete uns der steile Aufstieg auf die Rötifluh. Weiter ging die Reise via Weissenstein, Hinterweissenstein und Althüsli, wo sich doch langsam der schwere Rucksack und die bereits absolvierten Kilometer bemerkbar machten. Und nach der Ueberschreitung der Stallfluh und der Grenchenberge waren unsere Batterien so ziemlich leer. Dank bester Verpflegung und einem guten Bett konnten wir auf dem gastfreundlichen Unteren Grenchenberg neue Kräfte tanken.
Etwas irritiert haben wir uns aber am nächsten Morgen um fünf Uhr vor dem Haus die Augen gerieben. Es herrschte dichter Nebel, bei kalter Bise knapp über dem Gefrierpunkt. Und dies Ende Juni. Zum Glück drang aber bereits eine Stunde später die Sonne durch den Nebel und so konnten wir den Romontberg und später den Röstigraben bei bestem Wetter überschreiten und nach Frinvillier absteigen. Dort erwartete uns gleich zu Beginn ein sehr steiler, aber schöner Aufstieg durch die Felsen von Les Roches. Oben auf der Alp Les Coperies hat man bereits die Hälfte der 1100 Höhenmeter auf den Chasseral geschafft und die restlichen Höhenmeter verteilen sich nun fast gleichmässig auf weitere vier Stunden Wanderzeit.
Alpweiden, Rinder, Tannen, Einzian
Der hundert Meter hohe Sendeturm des Chasserals taucht dabei immer wieder auf, ist zum Greifen nah und will doch nicht näher kommen. So zieht sich die Wanderung wenig abwechslungsreich über Alpweiden in der Region von Prés d’Orvin dahin. Eine Aussicht nach links und rechts fehlt meistens und wird erst kurz unterhalb des Chasserals frei gegeben. So gewöhnten wir uns langsam an den Anblick der uns in den nächsten Tagen noch Dutzende von Stunden begleiten würde: Alpweiden, Rinder, Tannen und Gelber Enzian. Auf dem Chasseral angelangt konnten wir dann endlich die schöne Aussicht geniessen.
Am nächsten Morgen starteten wir erneut in dickem Nebel zur dritten Tagesetappe. Trotz lückenloser Beschilderung des gesamten Höhenweges wird die Wanderkarte im Nebel sicherheitshalber beigezogen.
So fanden wir denn auch problemlos den Einstieg in die romantische und nicht sehr steil abfallende Schlucht Combe Biosse. Am Schluchtausgang bei Le Paquier waren wir in der Heimat von Didier Cuche angelangt, was anhand der vielen Gratulationsplakate niemandem entgehen kann. Wir setzten unseren Weg Richtung Vue des Alpes fort und erreichten diese pünktlich zum Mittagessen.
Am Nachmittag bestiegen wir nach einstündiger Wanderung den Tete de Ran um anschliessend die schier endlos langen Alpweiden zum Mont Racine abzumarschieren. Auf dem Mont Racine liess uns die Bise trotz Sonnenschein nur kurz verweilen, so dass wir schnell in die Grande Sagneule abgestiegen sind. Die Grande Sagneule ist eine Alpwirtschaft wie man sie fast nur noch auf dem Ballenberg antrifft. Ohne Dusche und Warmwasser und mit einem riesigen Räucherkamin voller Speck und Würste mitten in der Gaststube. Und genau neben diesem Räucherkamin durften wir unser Nachtlager aufschlagen, da wir eine Übernachtung im Strohlager wohl kaum überlebt hätten. Die Bise pfiff im Sturm die ganze Nacht hindurch durch alle Ritzen des Hauses, Scharniere quietschten ununterbrochen und der Hund winselte die ganze Zeit in der Kälte vor der Haustür. Eine Geräuschkulisse wie in Sibirien umgab uns in dieser Jurasommernacht.
Unterwäsche vom Vortag
Am anderen Morgen indessen liess der Wind nach und auf dem Küchentisch stand ein derart grosszügiges Morgenessen bereit, dass es für die doppelte Anzahl Wanderer ausgereicht hätte. So starteten wir zwar gut verpflegt, aber gerädert vom Nachtlager und in der Unterwäsche vom Vortag in den neuen Wandertag. Die Route führte uns zuerst über den Col de La Tourne Pass und danach über einen langen Kretenweg von Tablettes nach Clusette. Trotz verhangenem Himmel konnten wir auf der gegenüberliegenden Talseite den gigantischen Felsenkessel des Creux du Van bestaunen.
Bevor wir aber in diesen einsteigen konnten, mussten wir zuerst noch den steilen Abstieg nach Noiraigue bewältigen. Zum Aufstieg auf den Creux du Van haben wir uns den ebenfalls steilen Weg durch den Kessel ausgesucht. Leider setzte dann fast auf die Minute genau mit unserem Erreichen des Creux du Van Gipfels Le Soliat ein halbstündiger Nebelregen ein und machte uns die ganze wunderbare Aussicht zunichte. So sind wir unverzüglich unserm Tagesendziel entgegen gewandert. Weitab der Zivilisation fanden wir im Nebel auf einsamer Alpweide das Restaurant Les Rochat, welches uns unerwartet mit komfortablen Schlafräumen und einer Gourmetküche aufwartete.
So konnten wir anderntags gut erholt über unzählige Alpweiden der vierthöchsten Juraerhebung entgegen steigen. Kurz vor dem Gipfel des Chasseron löste sich endlich auch der Nebel auf und so konnten wir an der Sonne die prächtige Aussicht nach allen Seiten, sowie auf das Ende des Neuenburgersees bei Yverdon geniessen. Den Abstieg nach St. Croix und auch den nachfolgenden Aufstieg zum Col de l’Aiguillon Passübergang konnten wir bei sommerlichen Bedingungen in Angriff nehmen.
Dent de Vaulion: schönste Aussicht
Nach dem Passübergang wird der Blick frei auf die Aiguilles de Baulmes, eines der schönsten Felsmassive des gesamten Juras. Leider führt der Jurahöhenweg nur an diesem Massiv vorbei und nicht über dieses hinüber. Am späteren Nachmittag erreichten wir unser Nachtlager bei der spartanisch eingerichteten Alpwirtschaft Grange Neuve auf 1400m ü. M. Nach einer Uebernachtung im kalten Strohlager ohne Warmwasser standen wir am andern Morgen früh schlotternd im stockdicken Nebel in der Bise. Zum geplanten Aufstieg auf den Mont Suchet waren wir unter diesen Bedingungen nicht zu motivieren und so haben wir deshalb am Fusse des Suchet entlang den langen Abstieg nach Ballaigues in Angriff genommen. Im Talboden von Ballaigues nach Vallorbe marschierten wir ausnahmsweise wieder einmal in der Zivilisation und sogar der TGV brauste an uns vorbei.
Doch in Vallorbe beginnt der langgezogene Aufstieg auf den Dent de Vaulion, den schönsten Aussichtsberg des ganzen Jurahöhenweges. Hier oben eröffnete sich uns bei inzwischen wieder sonnigem Wetter ein traumhafter Ausblick nach allen Seiten und vor allem auf den Lac de Joux und Lac Brenet. Die Aussicht genossen wir inmitten von Schulklassen, die den Vaulion auf ihrer Schulreise von der viel flacheren Westseite her erwandert haben. Im nahe gelegenen Restaurant haben wir anschliessend solange an der Sonne gesessen, bis wir wegen einem aufziehenden Gewitter das Tagesendziel Col du Mollendruz buchstäblich erspurten mussten.
Am zweitletzten Wandertag sind wir stundenlang auf Alpweiden stetig leicht ansteigend auf den höchsten Punkt des Schweizer Juras, den Mont Tendre (1679m) aufgestiegen. Einen markanten Gipfel sucht man hier vergeblich, da der Mont Tendre ein unscheinbarer Teil einer langgezogenen Jurakrete ist. Leider betrug die Sicht nur ein paar hundert Meter und so haben wir die Gipfelpause dazu benutzt, einen der wenigen Wanderer den wir auf unserer Tour getroffen haben, über seine Wandertätigkeit auszufragen. Werner hat nach seiner Pensionierung vor dreizehn Monaten seinen Haushalt aufgelöst und ist seitdem zu Fuss unterwegs. Vom Bodensee über Pruntrut nach Genf wandernd sei er jetzt auf dem Rückwegweg an den Bodensee und danach gehe die Wanderung weiter in die Dolomiten. Die Zufriedenheit und die körperliche Fitness die unser Gesprächpartner bei diesem Treffen an den Tag gelegt hat, hat uns im Abstieg vom Mont Tendre noch lange Zeit Gesprächsstoff geliefert.
Unvergessliche Eindrücke
Im weiteren Verlauf des Tages blieb das Wetter trüb und wir erhielten während einem kurzen Platzregen bei einem Alphirten Unterschlupf und heissen Kaffee. Auf dem Col du Marchairuz haben wir uns ausnahmsweise noch ein Mittagessen im Restaurant gegönnt. Und dies obwohl wir am zweitletzten Tag mit 34 Kilometern die längste Tagesetappe zu bewältigen hatten. Der Nachmittag zog sich dementsprechend in die Länge in diesem fast vollständig unbesiedelten Gebiet. Bei Le Planet konnten wir zum ersten mal den Springbrunnen von Genf erkennen, und bei Oujon haben wir die gewaltigen Klosterruinen mitten im dichten Jurabergwald bestaunt. Dem Tagesziel St. Cergue sind wir schlussendlich trotz Abendsonne nach elf Stunden Wanderzeit nur noch sehr langsam entgegen getrottet.
Am letzten Wandertag stand dann nur noch die Besteigung des La Dole und der Abstieg nach Borex auf dem Programm. Diese Tour ist in knapp sechs Stunden zu bewältigen und so sind wir am Morgen nicht allzu früh gestartet. Durch vorerst dicht bewaldetes Gebiet steigt der Wanderweg stetig an und führt kurz unterhalb des Gipfelgrates auch noch durch die Felsen. Auf dem Gipfelgrat des La Dole wurde der Nebel dichter, so dass wir sehr nahe an die unzähligen Gemsen heran kamen. Und unvermindert tauchte dann im Nebel die riesige weisse Kuppel des La Dole auf. Der letzte der unzähligen Höhenmeter unseres Jurahöhenweges war geschafft und die französische Grenze erreicht.
Auf dem 13 Kilometer langen Abstieg an den Genfersee wurden wir zum Schluss unserer Tour noch von einem ausgiebigen Regen begossen. Dieser Regen vermochte aber all die unvergesslichen Eindrücke der vergangenen Wochen in keiner Weise mehr zu trüben. Unten in der Ebene angelangt, erübrigt sich am dicht besiedelten Genferseeufer ein Weiterwandern von selber. Und so sind wir noch so gerne mit Postauto und Zug nach Hause gereist.